Gamification ist auch in der Schule ein grosses Stichwort. Lerninhalte werden in spieltypische Elemente und Vorgänge verpackt, welche die Motivation der Lernenden steigern sollen. Classcraft wendet genau dieses Prinzip an. Von der Machart her ist es Spielen wie World of Warcraft nachempfunden. Es belohnt oder bestraft Leistungen und Verhalten in der Schule. In der dritten Sek haben viele Schüler mit der Motivation zu kämpfen, besonders dann, wenn sie bereits eine Lehrstelle haben. Ein idealer Zeitpunkt für einen kleinen Motivationsschub. Nach den Sommerferien habe ich Classcraft eingeführt. Ich berichte nun von den ersten Erfahrungen.
Das ist Classcraft
Man braucht einen Beamer und einen Computer mit Internetanschluss um Classcraft spielen zu können. Die Schüler benötigen nicht zwingend einen eigenen Zugang zum Spiel, können aber auf dem Handy per App oder zu Hause auf dem Computer auf ihren Charakter zugreifen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Schüler benötigen keinen eigenen Computer, um das Spiel spielen zu können.
Das Spiel ist kostenlos. Natürlich gibt es eine Pro-Version, die zusätzliche Werkzeuge und Gold für die Schüler anbietet. Die CHF 100.- pro Jahr und Klasse sind ein fairer Preis, der sich absolut lohnt. Hier meine Erfahrungen:
Der Start
Zur Vorbereitung richtet man die Klasse in Classcraft ein. Besonders wichtig sind die Punktevergaben bei positiven Leistungen oder Versäumnissen. Es gibt Vorgaben vom Spiel, die man beliebig selbst anpassen und erweitern kann.
XP – Erfahrungspunkte: Mit XP (eXperience Points) können die Schüler ihren Charakter weiterentwickeln und neue Fähigkeiten lernen. Es ist die „Hauptwährung“ im Spiel und man sollte dafür sorgen, dass die Schüler ca. alle 2-3 Wochen die XP für einen Levelaufstieg sammeln können. Meine Belohnungen sahen in den ersten Wochen wie folgt aus:
Ich habe darauf verzichtet, einzelne Wortmeldungen im Unterricht zu belohnen, da ich mich voll und ganz auf den Unterricht konzentrieren möchte. Ich gebe aber jeden Tag, an dem ich die ganze Klasse unterrichtet habe, 70 XP für alle, die einigermassen mitgemacht haben.
HP – Lebenspunkte: Wer alle Lebenspunkte (Health Points) verloren hat, stirbt. Der Abzug von Lebenspunkten entspricht einer Strafe. Hier der aktuelle Bussenkatalog:
Teams: Classcraft wird in Teams gespielt. Ich habe diese Teams festgelegt und dabei geschaut, dass in jedem Team ein leistungsstarker Schüler ist und dass fachliche und überfachliche Stärken in allen Teams möglichst gleichmässig vorhanden sind.
Die Einführung
Für den Unterricht bietet Classcraft passendes Material für die Einführung. Unter anderem ein Klassenpakt, den alle Schüler unterschreiben können und eine interaktive Einstiegspräsentation, während der die Teams ihr Wappen und ihr Heimatbild wählen können. Danach darf jeder Schüler seinen Charakter wählen. Es gibt drei Charakterklassen zur Auswahl, jede hat eigene Fähigkeiten und Stärken:
In jeden Team muss jede Charakterklasse vertreten sein. Den Rest dürfen die Schüler selbst wählen.
Erste Erfahrungen
Classcraft ist für die Schüler etwas ganz Neues und somit auch Spannendes. Das Spiel schafft es ausgezeichnet, die ihnen bekannte Gamewelt abzubilden und wird ausnahmslos als etwas „für uns“ akzeptiert. Natürlich gibt es einige, die mit solchen Spielen nichts anfangen können, doch der Teamgedanke ist sehr gut und stark im Spiel verankert. Niemand möchte der Spielverderber für seine Gruppe sein.
Der positive und motivierende Einfluss des Spiels auf die Schüler ist schnell gut spürbar. Schüler, die vorher regelmässig ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, kümmern sich plötzlich viel stärker darum, diese nun zu erledigen. Das ganze Spiel ist für die Schüler ein wichtiges Thema. Ich bekomme Rückmeldungen von anderen Lehrpersonen, dass über das Spiel gesprochen wird – in einem positiven Sinn. Und der positive Aspekt daran ist immer: Die Schüler müssen gute Leistungen erbringen, um im Spiel vorwärts zu kommen.
Der Tagesablauf
In der ersten Lektion beginne ich den Tag mit einem Zufallsereignis.
Ein tägliches Ritual, welches den Wert von guten Leistungen in Erinnerung ruf. Die Zufallsereignisse können selbst geändert und angepasst werden (den „Gesang des Meisters“ habe ich gelöscht;-). Manchmal gewinnen oder verlieren die Schüler Erfahrungs- oder Lebenspunkte oder müssen etwas Lustiges oder Unerwartetes machen (z.B. dürfen alle Magier nicht mehr reden oder alle müssen sich mit „gnädiger Herr“ und „gnädiges Fräulein“ ansprechen).
Ansonsten versuche ich auf die Anwendung während des Unterrichts zu verzichten, um nicht unnötig abzulenken. Classcraft bietet aber ein paar tolle Tools, die durchaus ihren Nutzen haben.
Die Klassenwerkzeuge
Meine Lieblinge:
Boss-Kämpfe: Formative Lernkontrollen, z.B. als Repetition oder nach einer Lektion in Form eines Kampfes gegen ein Monster. Jede korrekt beantwortete Frage fügt dem Gegner Schaden zu, wer eine Frage nicht beantworten kann, nimmt selbst Schaden. Die Motivation ist unglaublich hoch!
Das Rad des Schicksals: Zufällige Schüler oder Teams auswählen. Das wende ich gerne für die Präsentation von Arbeiten im Unterricht oder von Hausaufgaben an.
Das Makus-Tal: Eine Lautstärke-Messung über das Mikrofon des Computers. Überschreiten die Schüler den gesetzten Pegel, nehmen sie Schaden. Schaffen sie es ruhig zu arbeiten, gewinnen Sie einen Schatz aus XP und Gold. Damit schaffe ich auch im Labor mit 21 Schülern eine Lektion lang ruhig zu arbeiten, selbst wenn sie selbstständig in Gruppen Experimente durchführen!
Die Schätze von Tavuros: Durch die Anbindung von Google Classroom kann ich darin vergebene Bewertungen in Belohnungen umwandeln, ganz einfach ohne Aufwand. Ich gebe für jede Aufgabe ein Feedback als Zahl von 1-4 (ungenügend – sehr gut), für eine 4 gibt es XP. Wer eine Aufgabe zu spät abgegeben hat verliert HP.
Fazit
Das Spiel hält absolut, was es verspricht. Die Motivation der Schüler nimmt spürbar zu. Besonders einige Classcraft-Werkzeuge sind eine Bereicherung für den Unterricht. Man sollte diese regelmässig benutzen und laufend versuchen, Belohnungen und Strafen akzeptabel zu justieren, sonst zeigen sich Ermüdungserscheinungen. Es gibt aber immer wieder wunderbare Momente, beispielsweise wenn ein Schüler voll motiviert und strahlend in der Lektion sein Essen hervor nimmt und das erste Mal seine Kraft „Darf im Unterricht eine Kleinigkeit essen“ anwendet.
Lässt man sich auf das Spiel ebenso ein wie die Schüler und integriert man es in den Unterricht, so hat man ein ausgereiftes, flexibles Belohnungs- und Motivationssystem zur Hand. Classcraft belegt dies mit Zahlen – für mich sind die absolut glaubwürdig:
Ich bleibe dran und melde mich wieder mit News zu Classcraft.
Hallo!
immer schön von den positiven Erfahrungen mit Classcraft zu lesen! hatte lange Zeit das Gefühl, dass ich in diesem Bereich Einzelkämpfer bin! Wenn Sie Lust haben, sich auszutauschen/ zu vernetzen, können Sie sich gerne bei mir melden 🙂
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Hallo und vielen Dank für diesen Beitrag!
Knapp 3 Jahre später bin ich sehr neugierig auf Ihre Langzeiterfahrungen. Gibt’s ein Update zur Classcraft-Erprobung? Haben Sie das System „durchgehalten“? Wie hat es mittel- und langfristig Ihren Unterricht verändert?
Herzliche Grüße aus dem Saarland,
Linda Hammann
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Ein guter Punkt, der Tatsächlich noch fehlt. Mein Unterricht hat sich ein Jahr danach deutlich verändert. Ich habe versucht, die Lernenden ausschliesslich intrinsisch motiviert arbeiten zu lassen: Dies bedeutete dann natürlich: die Schüler arbeiten nur noch freiwillig und es gibt keine Sanktionen, wenn sie es nicht tun. Spannenderweise funktioniert dies noch besser als Classcraft, ist zu Beginn aber deutlich schwerer auszuhalten für die Lehrperson. In einem auf extrinsische Motivation ausgelegtem Setting (in 99,9% aller Schulen) sehe ich den Einsatz von Classcraft als durchaus als möglich und nicht mal wenig sinnvoll. Es ist jedoch wie bei allen Belohnungen: diese sind nur für eine bestimmte Zeit attraktiv. Classcraft kann man gut für ein Schuljahr einsetzen. Danach – und vielleicht schon etwas früher – wird den Schülern bewusst, was es ist: ein weiteres Konditionierungswerkzeug für die Lehrer.
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